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Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Kundenmagazin nah klar.

Die Harzer Schmalspurbahnen gehören zu den weltweit letzten Bahnen, die heute noch täglich nach Fahrplan und unter Dampf fahren. Zwischen Wernigerode, Quedlinburg, Brocken und Nordhausen rollen mehrmals täglich planmäßige Verbindungen – und selbst in den historischen Zügen gilt das Deutschlandticket, außer zwischen Drei Annen Hohne und Brocken-Bahnhof.

Ein Dampflokführer wie aus dem Kinderbuch

Eine Jahrzehnte alte Lederkappe auf dem Kopf, eine schwarze Dienstjacke über der Schulter, Schraubenschlüssel und Ölkanne in der Hand: Dirk-Uwe Günther sieht aus wie die Dampflokführer in alten Kinderbüchern. Kein Wunder: Der 61-Jährige ist ein Urgestein der Harzer Schmalspurbahnen (HSB), er hat 45 Dienstjahre auf dem Buckel und ist noch immer mit Leib und Seele auf den Führerständen der Harzer Dampfzüge unterwegs. Im Bahnhof von Wernigerode kümmert er sich außerdem um die schwere Technik, prüft Schrauben, schmiert Getriebe und Lager. „Es macht immer noch großen Spaß“, sagt Günther zwischen Lokschuppen und Drehscheibe, zwischen altem Öl, Ruß und Kohlenstaub aus vergangenen Jahrzehnten. „Unsere Strecken kann man mit keiner anderen Bahn vergleichen.“

Schon 1979 absolvierte der damals 16-Jährige eine Ausbildung zum Triebfahrzeugschlosser. Nach mehreren Jahren als Heizer legte er 1986 den großen Dampflok-Führerschein ab. Seither darf er alle Loks fahren – und ist bis heute mit Herzblut auf Achse. Auch wenn er die steile Tour zum 1.125 Meter hohen Brockenbahnhof wegen ihres „alpinen Charmes“ am liebsten fährt, trifft man das Harzer Original genauso auf den anderen Strecken im Harz an. Mehrmals täglich verkehren die Züge der HSB auf der 61 Kilometer langen Harzquerbahn zwischen Wernigerode und Nordhausen in Thüringen sowie auf den malerischen Strecken der Selketalbahn von der Eisfelder Talmühle nach Hasselfelde, Harzgerode und in die Welterbe-Stadt Quedlinburg. Das romantische Selketal gilt vielen Lokführern dabei als besonderer Geheimtipp für Naturfreunde.
 

Volldampf mit dem Deutschland-Ticket

Die Harzer Schmalspurbahnen beteiligen sich am bundesweiten Deutschlandticket, um die Nutzung und Akzeptanz des Nahverkehrs zu erhöhen. Das Ticket für nur 49 Euro im Monat gilt in allen Zügen auf dem gesamten HSB- Streckennetz – außer in der Brockenbahn zwischen Drei Annen Hohne und Brockenbahnhof.

Im Regelverkehr unter Dampf

Zwischen moderneren Diesel-Triebfahrzeugen verkehren auf den 1.000 Millimeter-Spurweite-Gleisen mehrmals am Tag historische Dampfzüge nach Plan – und außer auf der Brockenstrecke sind sie sogar mit dem Deutschlandticket zu benutzen. Unter den Fahrgästen sind daher längst nicht nur Touristen und Wanderer, sondern auch Einheimische, die die Bahn für ihre Alltagswege nutzen. „Wir sind weltweit eines der letzten Bahnunternehmen, das im Regelverkehr unter Dampf fährt“, sagt Dirk Bahnsen, der Sprecher des Traditionsunternehmens. „Wir bekennen uns klar zum Nahverkehr und fahren jedes Jahr 700.000 Zugkilometer – sieben Tage die Woche, das ganze Jahr hindurch.“ Obwohl die nur 19 Kilometer lange Brockenbahn mit 600.000 Fahrgästen das Zugpferd der HSB ist, macht sie nur gut die Hälfte des gesamten Fahrbetriebs mit jährlich 1,1 Millionen Fahrgästen aus. Mit Ticket- und Souvenirverkäufen nimmt das Unternehmen jedes Jahr mehr als 14 Millionen Euro ein. Etwa die gleiche Summe steuern das Land Sachsen-Anhalt und der Freistaat Thüringen sowie die beteiligten Kommunen und Landkreise bei.

Für den gesamten Betrieb auf dem 140 Kilometer-Streckennetz mit 48 Stationen verfügt die HSB über ein Dutzend einsatzfähige Loks, sieben „Dampfer“ sind täglich im Einsatz. Mit insgesamt 25 Dampfloks aus fast 130 Jahren Geschichte besitzt die HSB den größten Fuhrpark seiner Art in Deutschland. Hinzu kommen zwölf Dieselloks, zehn Triebwagen und 137 Waggons, darunter ein luxuriöser Salonwagen. Ein Teil der Fahrzeuge wird allerdings für den heutigen Betrieb nicht benötigt und ist auch nicht betriebsfähig. Im Sommer 2022 wurde nahe dem Bahnhof in Wernigerode-Westerntor indes eine neue, moderne Dampflokwerkstatt eröffnet, um Wartungen und Reparaturen in Eigenregie übernehmen zu können.

Öl, Ruß und Kohlenstaub aus früheren Jahrzehnten überziehen das Gelände vor dem Lokschuppen in Wernigerode. Mittlerweile wird biologisch abbaubares Schmieröl genutzt.

Bereit für die Zukunft

Bei aller Nostalgie und Romantik sind die Züge dennoch auf dem neuesten Stand der Technik: geschützt gegen Kollisionen mit Sicherungssystemen, die auch in der Raumfahrt genutzt werden, ausgestattet mit GPS Technologie, die Echtzeitanzeigen im digitalen Fahrgast-Informationssystem ermöglicht.

In Zeiten von Kohleausstieg, Klimawandel und Russland-Embargo wird bei der HSB allerdings über Alternativen zur klassischen Steinkohle nachgedacht, die hier seit 1887 verfeuert wird. Probehalber wird derzeit eine Lok für den Betrieb mit Leichtöl umgerüstet, um die Fahrzeuge zukünftig auch mit nachhaltigem HVO-100-Diesel betreiben zu können. Damit würden die historischen Loks ganz klimafreundlich mit erneuerbaren Sprit-Quellen fahren, und dennoch weiter dampfen und zischen wie eh und je. „Wir müssen für die Zukunft Alternativen testen“, sagt HSB-Sprecher Bahnsen. „Damit uns nicht der Dampf ausgeht.“

 

Geht es nach den Stadträten von Braunlage in Niedersachsen, soll das Netz durch einen Abzweig von der Harzquerbahn zukünftig sogar um etwa sieben Kilometer wachsen. Die Stadtpolitiker haben 2022 für den Streckenausbau ab dem Bahnhof Elend gestimmt, eine Machbarkeitsstudie soll 2025 vorliegen. Allerdings benötigen die HSB bis dahin mehr Personal. Denn auch wenn das Unternehmen mit seinen rund 290 Beschäftigten jedes Jahr Nachwuchs ausbildet, sind Instandhaltungs-Mechaniker für die historische Technik knapp, ebenso Dampflok- und Zugführer. Quereinsteiger aus der Hotellerie und Gastronomie gehören daher bereits jetzt zum fahrenden Team. Hinzu kommt: Die Kosten für Personal und Fahrzeuginstandhaltung steigen zusehends. Die HSB muss daher für die Zukunft mit ihren Gesellschaftern und den beteiligten Ländern Finanzierungslösungen finden – um gleichzeitig den modernen wirtschaftlichen Betrieb und den nostalgischen Charme für die Touristen und die Region zu bewahren.

Ein Kindheitstraum - und Rudi Carrell

Lokführer Dirk-Uwe Günther hat sich mit seinem Job einen Kindheitstraum erfüllt. „Ich habe in meinem Leben nur eine Bewerbung geschrieben – das war in der 8. Klasse“, erzählt er. Seither hat er alle Zeitenwenden erlebt, und die Harzer Bahnen in vielen Fernsehsendungen vertreten. „Ich saß schon in allen Talkshows, selbst mit Rudi Carrell und Carlo von Tiedemann.“ Nun könnte er in den Ruhestand gehen und zuhause seine Modellbahn pflegen. Aber eine Weile möchte er noch auf der Meterspur unter Volldampf bleiben. „Ich arbeite ja nicht – ich gehe meinem Hobby nach“, sagt Günther verschmitzt. „Solange es körperlich geht, bleib ich dabei.“

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