Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Kundenmagazin nah klar.
Statt immer wiederkehrender, kleinteiliger Baustellen über viele Jahre hinweg, bündelt die Deutsche Bahn AG das Baugeschehen auf den hoch belasteten Streckenabschnitten in so genannten Generalsanierungen, auch bekannt als „Hochleistungskorridor“. Das bedeutet: die Infrastruktur wird komplett über alle Gewerke hinweg erneuert, von der Trasse bis zum Bahnhof. Dafür ist eine Vollsperrung notwendig, die für einen konkreten Zeitraum massive Einschränkungen im Zugverkehr bedeutet. Erklärtes Ziel dieser Maßnahme: pünktlichere Züge und attraktivere Bahnhöfe durch ein zuverlässigeres Schienennetz.
Dazu sprachen wir mit Mike Flügel, Leiter Technisches Projektmanagement der DB InfraGO AG und Mario Krokotsch, Leiter Infrastruktur und Förderprogramme bei der NASA GmbH.
An welchen Stellen und in welchem Zeitrahmen ist Sachsen-Anhalt von der Sanierung betroffen?
MIKE FLÜGEL: Besonders im Fokus stehen für uns ab 2027 die Strecken zwischen Stendal und Magdeburg sowie zwischen Uelzen und Stendal, aber auch die Streckenabschnitte Weddel – Magdeburg und Lehrte – Berlin. Derzeit erarbeiten wir schon die Sperr- und Umleiterkonzepte dafür. Es sind, abhängig vom jeweiligen Projektumfang, immer ca. fünf Monate für die Generalsanierungen vorgesehen.
MARIO KROKOTSCH: Trotz der enormen Belastungen, die auf die Fahrgäste und Güterverkehrskunden durch die Generalsanierungen zukommen, ist es aus unserer Sicht erfreulich, dass die DB InfraGO in vier Hochleistungskorridore in Sachsen-Anhalt investiert.
Mit welchen Einschränkungen müssen die Menschen im Land rechnen
MIKE FLÜGEL: Wir tun alles dafür, die Auswirkungen auf ein Mindestmaß zu begrenzen und bereiten die Umleitungsstrecken vorab für die zusätzlichen Verkehre während der Sperrungen bestmöglich vor. Beispielsweise werden wir in Sachsen-Anhalt Teile der Lehrter Stammbahn elektrifizieren, um den geplanten Sanierungsabschnitt umfahren zu können. Zusätzlich
entwickeln wir schon frühzeitig umfassende Konzepte für den notwendigen Schienenersatzverkehr. Uns ist bewusst,dass wir den Menschen vor Ort viel abverlangen, weshalb wir besonders umfassend informieren werden.
MARIO KROKOTSCH: Aus unserer Sicht war das Vorgehen mit einer großräumigen, mehrmonatigen Sperrung von Strecken nicht unumstritten. Durch die
gleichzeitige Generalsanierung der Strecken Uelzen – Stendal und Stendal – Magdeburg wird beispielsweise der Norden Sachsen-Anhalts für mehrere Monate vom Schienenverkehr abgekoppelt. Dagegen stehen aber die Argumente einer kompakten Sperrung gegenüber einer abschnittsweisen Sanierung über mehrere Jahre hinweg. Allerdings nehmen wir die DB auch in die Pflicht, ihre Versprechen sowohl hinsichtlich des Umfangs der Sanierungsmaßnahmen als auch der anschließenden mehrjährigen Baufreiheit auf den Strecken einzuhalten. Als problematisch sehen wir die von Herrn Flügel geschilderte Verfahrensweise auf der Achse Hannover – Berlin mit Betroffenheit der Lehrter Stammbahn. Hier wird es vsl. zulasten der Nahverkehrskunden über Jahre zu einer Mehrfachbetroffenheit kommen, weil erst die Nahverkehrsstrecke für den Umleiterverkehr ertüchtigt wird und dann darauf die Fernverkehrszüge verkehren. Beides führt jeweils zum Ausfall der Nahverkehrszüge. Das Land drängt daher hier auf Nachbesserung.
Wie wird sich dadurch das Schienennetz in Sachsen-Anhalt langfristig verbessern?
MIKE FLÜGEL: Wo die Infrastruktur modern und leistungsfähig ist, fahren die Züge pünktlicher und zuverlässiger. Das Schienennetz in Sachsen-Anhalt ist
ein zentraler Bestandteil für viele wichtige Fern- und Güterverkehrsverbindungen in ganz Deutschland und auch Europa.
MARIO KROKOTSCH: Für uns besonders interessant ist die Verknüpfung der Generalsanierungsmaßnahmen mit Maßnahmen, die aus Projekten des Bundesverkehrswegeplans sowieso anstehen. So soll mit Abschluss der Generalsanierung des Abschnitts Uelzen– Stendal endlich auch der zweigleisige Ausbau der Strecke fertiggestellt sein. In den notwendigen Sperrpausen werden somit faktisch zwei Projekte umgesetzt. Wir streben an, dass mit der Generalsanierung der Strecke Magdeburg – Stendal auch die lang ersehnte Geschwindigkeitsheraufsetzung auf 160 km/h realisiert wird. Und nicht zuletzt ist es erfreulich, dass auch an den Verkehrsstationen Maßnahmen zur deutlichen Aufwertung vorgesehen sind.
Ist diese Idee der Hochleistungsnetze und der Hochleistungskorridore von der DB entwickelt und auf den Weg gebracht worden?
MIKE FLÜGEL: Bund und DB haben die Generalsanierung der hochbelasteten Streckenabschnitte gemeinsam und im Schulterschluss mit der Branche auf den Weg gebracht. Wir sind froh, dass mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz seit Juni auch die gesetzliche Grundlage dafür steht.
MARIO KROKOTSCH: Für das Land war es wichtig, dass wir in die zeitliche Priorisierung der Sanierungsabschnitte mit einbezogen wurden. Insbesondere, da für Dezember 2028 die Neuvergabe des Ausschreibungsnetzes ENORM ansteht, in der die Strecken Magdeburg – Stendal und Stendal – Uelzen enthalten sind. Wir erwarten natürlich nun, dass diese Zeitpläne seitens der DB auch eingehalten werden.
Wenn sich die Bautätigkeit innerhalb eines eng gesteckten Zeitrahmens auf einen bestimmten Korridor konzentriert, geraten dann nicht andere, kleinere Baumaßnahmen aus dem Blickfeld?
MIKE FLÜGEL: Im Gegenteil, die DB Infra GO (die Infrastruktursparte der DB; Anm.d.R.) hat ein umfangreiches Infrastrukturprogramm für mehr Qualität, Kapazität und Stabilität im Schienennetz gestartet. Dabei stehen vor allem das Bestandsnetz und die Bahnhöfe im Fokus. Allein 2024 modernisieren wir in Sachsen-Anhalt beispielsweise die Verkehrsstationen zwischen Merseburg und Querfurt und führen Brückenarbeiten im Knoten Magdeburg durch.
MARIO KROKOTSCH: Aus unserer Sicht ist diese Gefahr latent. Durch die Generalsanierungen werden große Ressourcen des Marktes sowohl planungs- als auch
bauseitig gebunden. Zudem stehen im Haushalt des Bundes nicht unbegrenzt Mittel zur Verfügung. Als Land ist uns aber daran gelegen, nicht nur die Hochleistungskorridore zu entwickeln, sondern auch im übrigen regionalen Netz keine Qualitätseinbußen zuzulassen und auch hier Ausbaumaßnahmen voranzubringen.
Wie stellen Sie sicher, dass während der Bautätigkeit ausreichend Alternativen zur Beförderung der Fahrgäste in Form von Bussen vorhanden sind, der Personalmangel betrifft die Busunternehmen wie alle anderen Branchen?
MIKE FLÜGEL: Klar ist, dass während der Generalsanierung ein leistungsfähigerer Schienenersatzverkehr eingerichtet werden muss, als bei den bisherigen Bauarbeiten. Es braucht ein neues Maß an Quantität und Qualität. Die Konzepte dafür werden von und mit den im Nahverkehr zuständigen Aufgabenträgern sowie in enger Abstimmung mit den betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Verbänden erarbeitet. Selbstverständlich arbeiten wir gemeinsam mit unseren Partnern daran, rechtzeitig die notwendige Anzahl an Fahrzeugen sowie Fahrerinnen und Fahrer zur Verfügung zu haben.
MARIO KROKOTSCH: Auf Grund der großen geografischen Ausdehnung und zeitlichen Dauer der Sperrungen müssen aus unserer Sicht an einen Ersatzverkehr mit Bussen deutlich höhere Anforderungen gestellt werden als bei sonstigen Baumaßnahmen. Wir begrüßen es, dass in den Gesprächen zwischen Bund, der DB und den Ländern sowohl organisatorisch als auch finanzierungstechnisch neue Wege gefunden werden konnten. So erfolgt beispielsweise die Ausschreibung der Ersatzleistungen zentral über die DB und die Finanzierung wird zwischen Bund/DB und Ländern aufgeteilt. Die Aufgabe wird nun sein, in den konkreten Projekten die höheren Qualitätsanforderungen auch umzusetzen.
Was passiert, wenn ein Hochleistungskorridor nicht im vorgesehenen Zeitraum fertiggestellt wird?
MIKE FLÜGEL: Das Vorhaben ist anspruchsvoll. Aber mit der Generalsanierung können wir die Effizienz in der Bauabwicklung im Vergleich zu bisherigen Instandhaltungsmaßnahmen deutlich steigern und den Zustand der Streckenabschnitte deutlich verbessern. Gleichzeitig kann der zukünftige Bedarf an Sperrpausen und damit Zusatzkosten für die Eisenbahnverkehrsunternehmen deutlich reduziert werden.
MARIO KROKOTSCH: Ich glaube, man sollte die Energie jetzt vor allem darauf verwenden, die Maßnahmen so zu planen, dass eine Fertigstellung innerhalb der vorgesehenen Zeit garantiert werden kann. Großartige Verlängerungen sind sowieso schwierig, weil die einzelnen Generalsanierungen sich auch gegenseitig bedingen. So müssen bestimmte Strecken fertiggestellt werden, bevor ein neuer Korridor saniert werden kann, weil die Strecken als Umleitungsmöglichkeit zur Verfügung stehen müssen.
Enthusiasmus für die "Wilde Zicke", ein Neu-"start", große Pläne für den Hochleistungskorridor und viele weitere Themen: Holt euch unser Kundenmagazin nah klar jetzt in den Zügen, Bussen im mein-Takt-Netz und auf eurem Bahnhof.
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